[...]
14 § 284 ZPO. Res iudicata.
Mit einem Vergleich können Parteien auch Streitfragen rechtskräftig er-
ledigen, welche nicht Prozessgegenstand bilden. Deshalb muss sich ein
Kläger einen in einem früheren gerichtlichen Verfahren geschlossenen
Vergleich entgegenhalten lassen, der in Überschreitung des damaligen
Streitgegenstandes den mit der zweiten Klage ins Recht gesetzten An-
spruch mit erfasste, dies selbst dann, wenn jenes frühere Verfahren als
zufolge Klagerückzugs statt Vergleichs erledigt abgeschrieben wurde.
Denn der Charakter eines Endentscheides (Sachurteil, Abschreibungsbe-
schluss, Prozessurteil) richtet sich nach der wirklichen Rechtslage und
nicht nach der allenfalls falschen Formulierung im Dispositiv.
Aus dem Entscheid des Obergerichts, 1. Zivilkammer, vom 29. Juni 2001 in
Sachen W. M.-R. gegen A. K.
2. Der Kläger macht mit der Appellation geltend, die Vorinstanz
sei zu Unrecht wegen Vorliegens einer res iudicata nicht auf die
Klage eingetreten. Das frühere Verfahren sei zufolge Klagerückzugs
und nicht zufolge Vergleichs erledigt worden.
Der Klagerückzug ist wie die Klageanerkennung eine einseitige
Parteierklärung an eine gerichtliche Instanz, welcher zivilrechtliche
wie prozessuale Wirkungen zukommt. Ein Prozessvergleich ist dem-
gegenüber die gegenseitige Einigung der Parteien über die im
Rechtsstreit auszutragende Differenz nach Prozesseinleitung (Wal-
der, Zivilprozessrecht, 4. A. Zürich 1996, § 25 Rz. 14 ff.; ders. Pro-
zesserledigung ohne Anspruchsprüfung, Zürich 1966, S. 142 Fn 2).
Gegenseitiges Nachgeben gilt als Begriffsmerkmal des Vergleichs
(Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilpro-
zessordnung, 2.A. Aarau 1998, N 1 zu § 285; Leuch/Marbach/Keller-
hals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. A.
Bern 2000, N 2b zu Art. 207 BE ZPO; Vogel, Grundriss des
Zivilprozessrechts, 6.A. Bern 1999, 9. Kap. N. 52; BGE 121 III 404
Erw. 2c; 105 II 277 Erw. 3a). Der Vergleich als gegenseitige
Parteierklärung macht die Fortsetzung des Prozesses und den
richterlichen Entscheid unnötig. Ein zivilrechtlicher Vertrag tritt an
dessen Stelle, erfährt aber deshalb, weil der Prozess eingeleitet ist,
die Bekräftigung durch einen gerichtlichen Beschluss. Materiell liegt
kein Vergleich vor, wenn eine Klage zurückgezogen anerkannt
wird, die Parteien aber eine Abweichung mit Bezug auf die
Kostentragung vereinbaren (Walder, Prozesserledigung, a.a.O.,
S. 142 Fn. 2). Der Vergleich ist nicht auf den Gegenstand des Pro-
zesses beschränkt, es können damit vielmehr auch gleichzeitig vor-
handene Pendenzen erledigt werden (BGE 110 II 49 f.; Büh-
ler/Edelmann/Killer, a.a.O., N 7 zu Art. 285 ZPO; Guldener, Schwei-
zerisches Zivilprozessrecht, 3. A., Zürich 1979, S. 393). Der auf
Grund eines Vergleichs ergangene Abschreibungsbeschluss des Ge-
richts schafft einen Vollstreckungstitel für jede einzelne Verpflich-
tung des Vergleichs, unabhängig davon, ob sie Gegenstand des
Rechtsstreits gebildet hat nicht (Walder, Prozesserledigung,
a.a.O., S. 155). Auch einer solchen Verpflichtung in einem gerichtli-
chen Vergleich kommt die volle Rechtskraftwirkung eines gerichtli-
chen Vergleichs zu (Walder, Prozesserledigung, a.a.O., S. 142
Fn. 1a).
b) In der von den Parteien vor Gerichtspräsidium K. abge-
schlossenen Vereinbarung vom 19. Februar 1998 ist der Passus ent-
halten, dass der Kläger die Klage und die Betreibung vorbehaltlos
zurückziehe. Des Weitern erklären die Parteien gegenseitig Verzicht
auf weitere Ansprüche aus den Arbeiten am Ausbau des klägerischen
Dachgeschosses, soweit es sich nicht um verdeckte Mängel handelt.
Die Vereinbarung regelt schliesslich die Tragung der Prozesskosten.
Im Dispositiv des Abschreibungsbeschlusses und zweimal in
den Erwägungen (Ziff. 5.2 und Ziff. 5.3) ist immer nur die Rede von
Klagerückzug. Es wurde auch von keiner Partei eine Berichtigung
des Urteilsdispositivs verlangt. Aufgrund des Wortlauts liegt ein
Klagerückzug vor. Materiell handelt es sich demgegenüber um einen
Vergleich, da nicht nur die Klage zurückgezogen wurde, sondern die
Parteien darüber hinaus vereinbarten, dass sie aus den Arbeiten be-
treffend Dachgeschoss in der Liegenschaft des Klägers keinerlei
gegenseitige Ansprüche mehr haben. Dadurch haben die Parteien
eine Vereinbarung in einem Streitpunkt getroffen, der nicht Gegen-
stand des Prozesses gewesen ist. Ausserdem haben sie eine Regelung
betreffend Tragung der Prozesskosten getroffen. Inhaltlich wurde
demnach mehr vereinbart als ein blosser Klagerückzug. Es handelt
sich deshalb materiell klarerweise um einen Vergleich und keinen
Klagerückzug.
Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass eine Divergenz
zwischen dem Dispositiv des Abschreibungsbeschlusses (Klage-
rückzug) und den Erwägungen (Vergleich) vorliegt, wobei es sich bei
der Bezeichnung im Dispositiv als Klagerückzug um einen klaren
Fehler handelt. Ein solcher Fehler rein formaler Art bezüglich des
Grundes des Abschreibungsbeschlusses ändert nichts am Charakter
des Beschlusses vom 19. Februar 1998 als Abschreibungsbeschluss
infolge gerichtlichen Vergleichs. In diesem Sinn hat auch das Bun-
desgericht bei der Beurteilung einer ähnlichen Problematik entschie-
den, indem es ausführte, dass nicht die Bezeichnung des Entscheides
massgeblich sei, ob ein Prozess- ein Sachurteil vorliege, son-
dern allein der Gehalt des Entscheides. Ein Prozessurteil ändere sei-
nen Charakter nicht, wenn im Dispositiv eine Klage fälschlicherwei-
se abgewiesen, anstatt wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung
auf sie nicht eingetreten werde (BGE 115 II 187 E. 3b). Gleich ver-
hält es sich im vorliegenden Fall, so dass die fehlerhafte Bezeich-
nung "Klagerückzug" nichts daran ändert, dass das Verfahren infolge
Vergleichs abgeschrieben wurde.